Thimothée Atouba – „Laufen, Laufen, Richtung Trainerbank...“

Portrait
Donnerstag, 30.01.2020 // 11:38 Uhr

In Kamerun ist er aufgewachsen – in einer Grossfamilie. Als Junger wurde sein Talent für den Fussball entdeckt. Sein Traum als Fussballer berühmt zu werden und nach Europa zu wechseln wurde – im Gegensatz zu vielen anderen Träumen junger Afrikaner – Wirklichkeit. Er kam nach Basel und startete nach mehreren Titeln sowie einer aufsehenerregenden Champions-League-Kampagne mit dem FC Basel 1893 zu einer Odyssee durch Europa. Hier ist seine Geschichte.

„Als ich klein war, waren wir 13 Kinder, der Papa brachte einige Buben mit, die Mama einige Mädchen. Zusammen mit den Cousins und Cousinen, die auch bei uns assen, waren wir 23 Personen – ohne die Eltern wohlgemerkt.“ Soweit Thimothée Atoubas Schilderung des geselligen Alltagslebens im Hause Atouba in der kamerunischen Grosstadt Yaoundé. Das war zu Beginn der neunziger Jahre. Der junge Thimothée hatte Glück, er durfte die Schule besuchen. Er tat dies bis ins Lycee secondaire. „Dann musste ich zwischen Fussball und Schule entscheiden. Ich besprach das alles mit meinem Vater. ‚Wir haben die Wahl‘, sagte er mir mit ernster Stimme. ,Wenn du den Fussball wählst, musst du gut sein. Sehr gut. Besser als alle anderen.‘“ Thimothée Atouba zögerte keine Sekunde. Er wollte es wagen.

 

Anfänge in Kamerun

 

Angefangen mit dem Fussball hat er in Yaoundé in einem kleinen Club namens Minéduc (Ministère de l’éducation nationale). Schon bald wurde er von anderen Akademien umworben, sowohl von Fogabe als auch von Nassara. Doch dann kehrte er zu seinem Ausbildungsclub zurück, der hatte sich in der Zwischenzeit von Minéduc in Ouragan umbenannt. Von diesem Moment an ging es Schlag auf Schlag. Der begabte Abwehrspieler wurde von Union Sportive de Douala ins Kader aufgenommen. Etienne Soken nahm ihn unter seine Fittiche. Man spielte zwar in der 1. Division, also der höchsten Spielklasse, firmierte aber nicht als Proficlub, wie wir es kennen.

 

Dann erhielt Timothée Atouba eines schönen Tages im Jahre 1999 von Nationalcoach Pierre Lechantre ein Aufgebot für Kameruns Nationalmannschaft. Er musste keine Nachwuchs-Länderspiele bestreiten. Von da an war sein Weg vorgezeichnet. In Freundschaftsspielen und während der Qualifikation für den Afrika Cup sichteten ihn Späher als Talent. Früher oder später rückte er auch ins Blickfeld von Schweizer Clubs. Neuchâtel Xamax hatte als erster Verein Interesse – und bald spielte Thimothée Atouba im Dress der Rotschwarzen. Der blendende Techniker mit seiner Körpergrösse von 1.91 Metern spielte auffallend gut. Im ersten Match mit den Xamaxiens gegen Basel gewann er bereits. Jetzt wurden auch die Bebbi auf ihn aufmerksam.

 

Steiler Aufstieg im rotblauen Dress

 

Im Januar 2002 stiess Thimothée Atouba für 400'000 Franken als linker Aussenverteidiger zum FCB. Von der Stadt Basel wusste der Neuankömmling am Anfang noch nicht sehr viel. Aber die Tatsache, dass seine Schwestern Angéline und Anna zu dem Zeitpunkt bereits in Basel wohnhaft waren, war für ihn sicher hilfreich. So wurde Thimothée Atouba schon bald heimisch. Mit seinem guten Französisch fand er sofort den direkten Draht zur Mannschaft, die damals sehr international zusammengesetzt war.

 

Im Cupfinal 2002 erlebte er bereits einen ersten Vorgeschmack auf all das, was noch kommen sollte. 2:1 siegte der FC Basel gegen die Zürcher Grasshoppers – die Treffer für die Männer in Rotblau erzielten Hervé Tum nach einem stupenden Sprint im Alleingang und Murat Yakin mittels Handspenalty. Der FCB war damals Schweizer Meister und durfte im Herbst 2002 – diesmal ohne den von einer Verletzung geplagten Atouba – zweimal gegen das berühmte Team von Celtic Glasgow zur Champions-League-Qualifikation antreten. Einmal auswärts (1:3), einmal zuhause (2:0). Gemäss Europacup-Arithmetik zählte bei Tor-Gleichstand von 3:3 das Basler Auswärtstor in Schottland doppelt. Der FCB hatte sich dank diesem Husarenstreich für die prestigeträchtige und lukrative Champions League qualifiziert.

 

Mit dabei im Konzert der Grossen

 

Die Auslosung für die Königsklasse 2002/03 brachte den Baslern Glück. Liverpool, Valencia und Spartak Moskau hiessen die Gegner. Für den damals erst 21-Jährigen war das grossartig, jetzt statt gegen Aarau, Wil und Delémont anzutreten plötzlich die Champions-League-Hymne zu hören und gegen die Tenöre des Weltfussballs seinen Mann zu stehen. „Ich hatte nie Angst. Nervosität war mir ein Fremdwort“, sagt er. „Natürlich bekam ich mit, dass ein Teil meiner Mannschaftskollegen richtiggehend auf diese Matches hinfieberten und dass Christian Gross seine berühmten Reden hielt. Aber ich habe den ganzen Rummel eigentlich gut verdaut.“ Nach einem 2:0-Auftaktsieg gegen Spartak Moskau, traf man dann an der weltweit gefürchteten Anfield Road auf den Liverpool FC. 37'634 Fans, davon gegen 3000 rotblaue, waren Zeugen einer packenden Begegnung, die hammerhart geführt wurde und nach Toren von Milan Baros und Julio-Hernán Rossi mit 1:1 endete. Atouba, Murat Yakin, Alexandre Quennoz und Bernt Haas agierten mit viel Bravour in der Viererkette. Die FCB-Abwehr hatte damit nach dem Celtic-Thriller eine weitere ganz grosse Prüfung bestanden.

 

Nach einer 2:6-Schlappe auswärts gegen Valencia folgte dann ein 2:2 gegen die gleichen Spanier im Joggeli, mit den beiden Toren von Ivan Ergic, diese Partie verpasste Atouba verletzungsbedingt. Nach dem darauffolgenden 2:0-Sieg im eisig kalten Moskau (wieder mit Atouba) fehlte dann nur noch wenig, um die Qualifikation für die Champions-League-Zwischenrunde zu schaffen. Die letzte Hürde hiess abermals Liverpool.

 

Torschütze beim 3:3 gegen Liverpool

 

Was sich an diesem Abend im weiten Rund des St. Jakob-Parks abspielte, gehört zu den Sagen und Legenden, die man sich immer wieder aufs Neue erklären muss. Tatsache ist, dass der FCB die Engländer mit blitzartig vorgetragenen Angriffen phasenweise wie Schulbuben aussehen liess und gegen die bemitleidenswerten Mannen von der Merseyside zwischenzeitlich mit 3:0 in Führung ging. Rossi traf zum 1:0, Christian Giménez zum 2:0. Zweimal Gauchos – zweimal Goal. Die Spieler aus der Beatles-Metropole waren zu dem Zeitpunkt angeschlagen wie einst die Gegner von Mike Tyson. An den dritten Treffer erinnert sich Thimothée Atouba besonders gerne. Hakan Yakin schoss von rechts aus einen fabelhaften Freistoss Richtung Tor von Jerzy Dudek in der Gellertkurve. „Der Ball prallt vom Goalie ab, er kommt zu mir, und irgendwie habe ich ihn von der Ecke des Fünferraums aus über die Linie gelenkt“, schmunzelt er. Und dann, was kam dann? Thimothée lächelt: „Dann bin ich losgerannt, Richtung Basler Bank, dort bin ich ausgerutscht und auf meinen Rücken gefallen, und alle, alle sind sie gekommen und haben mir gratuliert.“ Es folgte eine schwierige zweite Halbzeit mit drei Gegentoren. Aber das 3:3 reichte am Schluss für die Qualifikation. Basel hatte das übermächtig scheinende Liverpool eliminiert.

 

In der zweiten Runde der Champions League landeten die Basler nochmals wertvolle Resultate, unter anderem gegen Deportivo la Coruña (1:0) und gegen Manchester United (1:1 vor 66'870 Fans im Old Trafford Stadion – 3000 Basler waren mitgereist) und gegen Juventus Turin (2:1). Dass man zuvor auswärts in Turin gegen die gleiche Juve hoch verloren hatte (0:4 vor 22'639 Zuschauern im Stadio delle Alpi) war für die Basler nur eine Randnotiz wert. Immerhin bedeuten die 9000 rotblau gekleideten Fans, die an diesem Tag nach Norditalien mitreisten und trotz Schneegestöber für eine absolut grossartige Stimmung sorgten, bis zum heutigen Tag eine Rekord-Auswärtskulisse für den Basler Stadtclub.

 

Wenn das Ausland lockt

 

Nach Grosserfolgen rücken Spieler eines erfolgreichen Vereins automatisch ins Scheinwerferlicht. Das war auch beim FCB und bei Atouba der Fall. Scouts von den ganz grossen Fussballclubs kamen ins Joggeli und füllten eifrig ihre Notizblöcke. Sie wedelten mit Verträgen, lockten mit Versprechungen. Atouba blieb vorsichtig. Noch einmal liess sich der grossartige Dribbelkünstler von Christian Gross und Gigi Oeri zum Bleiben überreden. „Ich habe eine starke Beziehung zu Basel, aber dann hörte ich immer wieder von Angeboten aus dem Ausland.“

 

Der umworbene Spieler, der mit der Zeit auch als linker Mittelfeldspieler aufgeboten wurde, war in den Folgemonaten hin- und hergerissen. Sollte er weiterhin in der Rheinstadt bleiben und hier auf Dauer etwas aufbauen? Oder sollte er dem Lockruf der Spielervermittler folgen und zu einem internationalen Topteam wechseln, ohne Sicherheit auf Einsatzmöglichkeiten? Thimothée Atouba gesteht heute, dass das für ihn ein ganz schwerer Entscheid war. Schliesslich reiste er im Sommer 2004 zu Verhandlungen nach London. Der Traditionsclub Tottenham Hotspur hatte Interesse an ihm angemeldet. Im Privatjet begleitet von Gigi Oeri flog er dorthin, und Gigi Oeri sagte zu ihm: „Wenn dir das Angebot der Engländer aus irgendeinem Grund nicht passt, fliegen wir gemeinsam nach Basel zurück.“ Doch die Argumente der englischen Verhandlungspartner überzeugten, es schien für den jungen Kameruner zu passen.

 

In unserem Interview liess er durchblicken, dass zahlreiche andere Vereine ihn zu der Zeit ebenfalls unter Vertrag nehmen wollten. Grossclubs aus Portugal, Frankreich und Spanien boten mit. Aber Tottenham lag vorne. So setzte Thimothée Atouba dann am 7. August 2004 in London seine schwungvolle Unterschrift unter einen gutdotierten Kontrakt. Die damalige Ablösesumme von je nach Quelle zwischen 4 Millionen Euro und 4,5 Millionen Euro bedeutete für den FCB einen neuen Rekord. Doch letzten Endes war die englische Premier League dann für Atouba doch nicht das Wahre. Nur 18 Mal durfte er für die Weissen einlaufen. Bald war das Thema Tottenham Geschichte, es folgten weitere Transfers. Beim Hamburger SV absolvierte Atouba immerhin 83 Bundesligaspiele. Anschliessend bei Ajax Amsterdam und bei Las Palmas liess er seine Karriere mehr oder weniger ausklingen.

 

Geschäftsmann in Yaoundé

 

Heute lebt der einstige FCB-Publikumsliebling in seiner Heimat – in Yaoundé. „Ich will im Fussball bleiben“, bekräftigt er bei jeder Gelegenheit. Gemeinsam mit dem bekannten Torhüter Carlos Kameni (Le Havre, Saint-Étienne, Español Barcelona, Malaga, Fenerbahçe) betreut er die Equipe ICK Yaoundé in der 2. Division régionale. Sind das Profis? An diesem Punkt des Gesprächs wartet Thimothée Atouba mit einer spannenden Information auf: „Nein. Diese Spieler sind zwischen 15 und 23 Jahre alt, sie gehen noch zur Schule. Professionellen Fussball gibt es bei uns in Kamerun erst seit September 2019. Wir haben jetzt eine Profiliga mit 18 Mannschaften. Die bekanntesten davon sind Cotonspor Garoua, Tonnerre Yaoundé und Canon Yaoundé. Neu mischt auch Avion Academy munter mit. Am Ende der Saison qualifizieren sich jeweils die ersten beiden Vereine für die CAF Champions League respektive für den CAF Confederations Cup, die letzten drei Clubs steigen ab. Eine zweite Profiliga als Unterbau ist zwar vorgesehen, aber es gibt sie derzeit noch nicht.“

 

Da seine Frau mit den Kindern in Lille lebt, wo auch seine Brüder wohnen, kommt Thimothée Atouba immer wieder nach Europa zu Besuch. Sein neustes Projekt ist der Aufbau einer eigenen Fussballakademie. „Ich habe bei meinem Besuch in Basel mit Ruedi Zbinden und Gusti Nussbaumer darüber gesprochen. Es wäre schön, wenn sich daraus etwas ergibt und wenn in ein paar Jahren Spieler aus meiner Akademie nach Basel wechseln können.“

 

 

Steckbrief

 

Name: Atouba

 

Vorname: Thimothée

 

Geburtstag: 17. Februar 1982

 

Position: Linker Aussenverteidiger, linker Mittelfeldspieler

 

Vereine als Spieler:

 

Minéduc: 1998-1999

Union Douala: 1999-2000

Neuchâtel Xamax: 2000-2002

FC Basel 1893: 2002-2004

Tottenham Hotspur: 2004-2005

Hamburger SV: 2005-2009

Ajax Amsterdam: 2009-2011

Las Palmas: 2012-2014

 

Erfolge:

 

Schweizer Meister 2001/2002 und 2003/04 mit dem FCB

Schweizer Cupsieger 2002/03 und 2003/04 mit dem FCB

Uhrencupsieger 2003 mit dem FCB

UEFA-Intertoto-Cupsieger 2005 und 2007 mit dem Hamburger SV

Holländischer Meister 2010/11 mit Ajax Amsterdam

Holländischer Cupsieger 2009/10 mit Ajax Amsterdam

50 Spiele mit der Nationalmannschaft von Kamerun 1999-2008

Gewinner des Afrika Cup 2000 mit Kamerun.

 

Afiti-Bongô – Atouba hilft Kindern, die es nötig haben

 

In seiner Heimat Kamerun beteiligt sich Thimothée Atouba an einem Hilfswerk. Es heisst Afiti-Bongô (deutsch: Hoffnung für Kinder) und wurde 2013 von der in der Schweiz lebenden Virginie Nke und drei weiteren Vorstandsmitgliedern gegründet. Schweizer und Afrikaner arbeiten bei Afiti-Bongô Hand in Hand und geben Finanzhilfe für ein eigenes Haus für Waisen und benachteiligte Kinder in Yaoundé sowie für die Fondation Petit Dan et Sarah, das älteste Waisenhaus von Yaoundé mit 60 Kindern. Zusätzlich wird auch das Foyer Ecole des Enfants Aveugles, ein Heim für rund 30 behinderte und erblindete Kinder aus dem Stadtteil Bata-Nlongkak in Yaoundé, unterstützt. Bei einem kürzlichen Benefizanlass in der Basler Markthalle kam für Afiti-Bongô ein grösserer Betrag zusammen. Thimothée Atouba hilft in Kamerun aktiv mit. Vor einigen Monaten überreichte er allen Kindern neue Fussballschuhe als Geschenk zum Abschluss des Schuljahres. Seine Message ist klar: Eine solide Schulbildung ist ein wichtiger Grundstock auf dem Weg zu einem späteren Beruf.

 

www.afiti-bongo.com

 

Bisher porträtierte Spieler: Pascal Zuberbühler (28. August 2014), Roland Paolucci (3. Oktober 2014), Christian Giménez (29. Dezember 2014), Martin Andermatt (12. Februar 2015), Nestor Subiat (18. März 2015), Erni Maissen (6. Mai 2015), Eigil Nielsen (16. Juli 2015), Maximilian Heidenreich (4. September 2015), André Sitek (13. November 2015), Papa Malick Ba (13. Januar 2016), Bruno Sutter (26. April 2016), Argemiro Veiga (24. Juni 2016), Carlo Porlezza (6. September 2016), Markus Tanner (10. November 2016) und Martin Jeitziner (14. Februar 2017), Attila Sahin (17.April 2017), Hervé Tum (21. Juni 2017), Arthur von Wartburg (7. September 2017), Scott Chipperfield (15. November 2017) und Reto Baumgartner (11. Februar 2018), Walter Mundschin ( 29. März 2018), Thomas Hauser (3. Juni 2018), Stefan Huber (8. August 2018), Adrian Knup (13. Oktober 2018), Alex Nyarko (28. Dezember 2018), Helmut Hauser (28. März 2019), Peter Bernauer (9. Juni 2019),  Marco Zwyssig (21. August 2019) Lars Olsen (15. Oktober 2019), Ottmar Hitzfeld (16. November 2019).

Dieser Inhalt wurde automatisch von einem alten System migriert. Auffällige Fehler bitte an newsroom@fcb.ch schicken.

 

Mehr zum Thema

Ihr Browser ist veraltet.
Er wird nicht mehr aktualisiert.
Bitte laden Sie einen dieser aktuellen und kostenlosen Browser herunter.
Chrome Mozilla Firefox Microsoft Edge
Chrome Firefox Edge
Google Chrome
Mozilla Firefox
MS Edge
Warum benötige ich einen aktuellen Browser?
Sicherheit
Neuere Browser schützen besser vor Viren, Betrug, Datendiebstahl und anderen Bedrohungen Ihrer Privatsphäre und Sicherheit. Aktuelle Browser schließen Sicherheitslücken, durch die Angreifer in Ihren Computer gelangen können.
Neue Technologien
Die auf modernen Webseiten eingesetzten Techniken werden durch aktuelle Browser besser unterstützt. So erhöht sich die Funktionalität, und die Darstellung wird verbessert. Mit neuen Funktionen und Erweiterungen werden Sie schneller und einfacher im Internet surfen können.